Von Rita Kunze, Mitteldeutsche Zeitung, 20.11.2020
Ballenstedt – Ein kleines Mädchen ist mit zwei Raben unterwegs: Eines Nachts fliegt es mit ihnen durch den Wald, über die Selke, folgt dem Fluss, der irgendwann nur noch ein Rinnsal ist. Ein Anblick, der das naturverbundene Kind erschreckt. Was das Mädchen noch nicht weiß: Auf ihm ruhen alle Hoffnungen.
In ihrem neuen Buch „Waldgeflüster“, gerade erschienen im Verlag factum coloniae, erzählt die Ballenstedter Autorin Bettina Fügemann vom Waldsterben und dem Klimawandel und von Tieren, die dadurch ihren Lebensraum verlieren. Und sie erzählt von der Hoffnung, die auf der nächsten Generation ruht: Rieke, das kleine Mädchen, das die Sprache der Tiere versteht, soll den Wald retten, der in Gefahr ist, weil er auszutrocknen droht.
„Waldgeflüster“ ist ein bezauberndes und zugleich nachdenkliches Märchen
Mit „Waldgeflüster“ hat die Ballenstedterin ein bezauberndes und zugleich nachdenkliches Märchen geschrieben, für kleine und große Leser, die mit Rieke, den Raben Hugin und Munin und anderen Wesen in die Welt der Sagen und Mythen abtauchen, aber genauso auch die nüchterne Realität des Forstalltags erleben: Bäume müssen gefällt werden, weil sie vom Borkenkäfer befallen sind, der sich nicht weiter ausbreiten soll. Verortet ist dies alles in der Harzregion.
Wer so nah am Wald wohnt wie Bettina Fügemann, dem ist er gut vertraut. Jeden Tag ist sie dort unterwegs, kennt jeden Baum und jeden Winkel. Die Naturfreundin macht sich Sorgen: „Ich sehe, wie er sich über Jahre hinweg kolossal verändert hat. Es gibt den ‚Waldumbau‘ und ganz große Kahlschläge.“ Sie kennt den Wald aus früheren Zeiten noch anders.
Bislang hat sich Bettina Fügemann als Autorin und Herausgeberin vor allem mit historischen Themen beschäftigt; in ihren Büchern geht es zumeist um Frauen, die in ihrer Zeit Bemerkenswertes geleistet haben. Oft ist der Bezug zu Ballenstedt gegeben – mit Porträts der Herzogin Friedrike von Anhalt-Bernburg, Prinzessin Wilhelmine Luise von Anhalt-Bernburg etwa oder mit der Familie von Kügelgen im „Paradiesgarten der Kindheit“.
Paradiesisch mag ihr auch die Landschaft ihrer Heimatstadt vorgekommen sein: „Ich hatte eine schöne Kinderzeit“, sagt sie. „Und dann wird der Wald zerstört. Das hat mich so beschäftigt, dass ich dachte, ich mache jetzt ein Buch für Kinder.“ Es ist ihr erstes Kinderbuch, gewidmet hat sie es ihren beiden Enkeln.
Die gesamte Handlung spielt im und um den Wald herum
Aber wie beschreibt man ein so komplexes Thema denn Kindern? Mit Tieren und Fabelwesen, die im Wald leben und von ihm erzählen. Daneben gibt es gleich noch ein Stück heimatliche Sagenwelt zu entdecken, wenn die Geschichten über die Teufelsmauer, den Hexentanzplatz oder den Regenstein in die abenteuerliche Handlung eingeflochten werden.
Alles spielt sich im und um den Wald herum ab: Riekes Vater ist Förster, und die Familie ist gerade in ihr neues Haus mitten im Wald gezogen. Dort sitzen eines Nachts Odins Raben Hugin und Munin auf dem Fensterbrett im Kinderzimmer. Nicht ohne Grund fliegen die Vögel aus der nordischen Mythologie durch den Wald; ihre Namen bedeuten „der Gedanke“ und „das Erinnern“, und sie sind die Beschützer des Kindes, das nichts weniger soll, als den Wald retten.
Vor dem Schreiben steht bei Bettina Fügemann die Recherche, auch für ein Märchen. Sie hat sich das Bergwerk in Straßberg angesehen, war im Brockenhochmoor unterwegs. Die Försterin Liselotte Engell stand ihr beratend zur Seite. „Ich habe überlegt, was es alles im Wald gibt“, sagt Bettina Fügemann. „Feen und Felsen, die Rotkehlchenschlucht, die jetzt nicht mehr zugänglich ist, Gold und Edelsteine…“
Die Bilder zur Geschichte – Landschaften, Tiere, Fabelwesen – hat Bettina Fügemann selbst gezeichnet. Mit Pastellstiften und Feder schuf sie liebevolle Wesen, die zeigen, dass sie dem Wald und seinen Bewohnern genauso eng verbunden ist wie ihre Heldin.
Gerne würde Bettina Fügemann ihr Buch nun bei Veranstaltungen präsentieren. „Ich hoffe, im neuen Jahr mit Lesungen in Grundschulen beginnen zu können“, sagt sie.
Bettina Fügemann, „Waldgeflüster. Ein Märchen“, Verlag factum coloniae, ISBN: 978-3-946878-22-3. (mz)