Anna Muthesius – Sängerin und Modedesignerin

MZ | Quedlinburger Harzbote | 09.12.2023 | Seite 17, von Rita Kunze

Bettina Fügemann und Herbert Karl von Beesten gehen Spuren der Modegeschichte in Sachsen-Anhalt nach.

Die Ballenstedter Autorin Bettina Fügemann folgt den Spuren der Mode-Ikone Anna Muthesius und entdeckt dabei überraschende Seiten an der berühmten Designerin.

Ballenstedt/MZ. „Die deutsche Frau scheint ihr Äußeres zu vernachlässigen und ist nur noch eine lebendige Koch-, Wasch- und Nähmaschine“, schreibt Anna Muthesius (1870-1961) in ihr Tagebuch. Die Modedesignerin, die mit ihrem Mann Hermann Muthesius einige Jahre in London und in später Berlin lebt, gibt der Ballenstedter Autorin Bettina Fügemann den Stoff für eine Geschichte.

In die hat sie ganz viel Lokalkolorit eingearbeitet, erzählt sie und spricht davon, wie sehr das die Zuhörer ihrer Lesung am Vorabend in Aschersleben gefreut hat – und dass sie hofft, dass dies auch in einigen Stunden in Ballenstedt so sein würde. Dieses Mal in einer Lesung mit dem Magdeburger Literaten Herbert Beesten, erzählt sie im Schlossbahnhof von einer Frau, die in der Region aufgewachsen ist, in die Welt hinausging und mit ihrer Kreativität den Alltag von Millionen Frauen revolutionierte: Anna Muthesius gilt als Wegbereiterin der Konfektionsmode und entwarf Reformkleider, die Frauen vom Korsett befreiten.

„Wenn man nicht mit einem Kleid auf eine Straßenbahn springen kann, ist das keine Mode für eine Frau“, zitiert Bettina Fügemann die Mode-Ikone des 20. Jahrhunderts. „Sie war eine ambivalente Frau, die Liebe, Familie und Erfolg wollte.“

Dass sich die Ballenstedterin mit Anna Muthesius beschäftigt, hat mit einem Projekt des Fördervereins der Schriftsteller zu tun, dem sie angehört. Es geht um Frauen und Industriekultur und „ich wollte etwas haben, das in meiner Region ist“. Ein Blick in das Buch „Frauen in Sachsen-Anhalt“, das ihren Beitrag über Wilhelmine Luise von Preußen enthält, brachte den Stein ins Rollen.

Denn dort fand sich einen Text über Anna Muthesius. Sie kam am 12. August 1870 in Aschersleben zur Welt, lebte nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in Pansfelde, wo er eine Pastorenstelle hatte, und später mit ihrer Mutter für eine Weile in Ballenstedt.

„Ich lese in Ballenstedt, da habe ich für den Bahnhof einen kleinen Text geschrieben“, erzählt Bettina Fügemann über die Episode, in der sie Anna und ihre Mutter zum Schlossbahnhof spazieren lässt. In Muthesius’ Tagebuch fand sie folgenden Eintrag: „Im Gegensatz zu Pansfelde hat Ballenstedt ein Schloss und was fast wichtiger ist, zwei Bahnhöfe.“ „Da konnte sie schnell wieder weg“, kommentiert die Autorin, die Fakten und Fiktion miteinander verwebt.

Sie bringt die Muthesius in ihrem Text mit Menschen in Kontakt, die zu jener Zeit wirklich gelebt haben. Dass sie sich tatsächlich begegnet sind, ist historisch nicht belegt, könnte aber möglich gewesen sein.

Die Recherchen für die kurze Geschichte über ein bewegtes Leben waren umfangreich, führten Bettina Fügemann unter anderem nach Berlin ins Museum der Dinge, wo das Werkbundarchiv beherbergt wird. Dort kam sie Anna Muthesius nahe.

Sie hatte deren Tagebuch vor sich. „Nach zehn Tagen konnte ich etwas lesen“, sagt sie über die nicht ganz einfache Entzifferung der klein und regelmäßig geschriebenen Zeilen in Sütterlin. Sie erzählen von Halberstadt, ihrem Bruder Max, von Pansfelde und Max’ Hochzeit.

Die Autorin konnte selbst intimste Aufzeichnungen der Muthesius einsehen, in denen von einer Fehl- und der späten Geburt des jüngsten Kindes, ihrer Tochter Renata, die Rede ist – Anna Muthesius war da bereits 45 Jahre alt.

„Durch die Recherche komme ich ihr näher und sehe den Menschen Anna Muthesius. Ich wusste vorher nicht, dass ich ihr so nahe kommen würde“, sagt Bettina Fügemann.

Was diese berühmte und von vielen sehr bewunderte Frau ausgemacht hat? „Sie war nicht 24 Stunden am Tag göttlich. Es gab auch Situationen, in denen sie überfordert war. Da ist eine große Ambivalenz, und das macht sie ja auch menschlich.“

Anna Muthesius habe ihr Leben leben wollen, sich nicht einengen lassen. „Das geht auch heute vielen jungen Frauen so. Man muss seinen eigenen Weg gehen.“

Der ist für Bettina Fügemann im Fall Muthesius noch nicht abgeschlossen. „Bei meiner Lesung in Aschersleben bin ich ermutigt worden, weiterzumachen und ein Buch zu schreiben.“